Kooperation

Kooperation erforschen

Warum Kooperation oder Zusammenarbeit erforschen? Jeder weiß doch ohnedies, was mit Zusammenarbeit gemeint ist. Man arbeitet zusammen, oder man tut es nicht. Ist doch einfach, nicht? 

In Wirklichkeit ist kaum eine komplexere Frage als die nach dem Wesen von Zusammenarbeit und auch Zusammenwirken (beides lässt sich nicht genau voneinander abgrenzen) vorstellbar. Wir fühlen zwar, dass es dabei um etwas Wichtiges geht, aber wir machen uns kaum eine Vorstellung davon, wie tief diese Frage mit unserer Existenz verbunden ist. Kooperation war schon für unsere frühen Vorfahren von entscheidender Bedeutung und hat ihnen zu überleben ermöglicht und die Grundlagen dafür bereitgestellt, dass wir uns zu dem entwickeln konnten, was wir heute sind. Sowohl unsere biologischen Anlagen wie auch unsere Zivilisation sind ohne Kooperation auf verschiedenen Ebenen nicht denkbar. Darüber hinaus ist Kooperation, oder nennen wir es Zusammenwirken, tief in der Natur verwurzelt. Leben selbst kann als das ununterbrochene Ablaufen von kooperativen Prozessen verstanden werden. Um Nahrungsmittel zu suchen, müssen wir unseren Verstand gebrauchen, aber die Verdauung läuft über kooperative Prozesse in unserem Körper ab. Genauso die Verwertung des eingeatmeten Sauerstoffs oder die Wundheilung. Zusammenarbeitende Zellen machen diese Arbeit und ermöglichen so dem gesamten Organismus und sich selbst das Überleben. Wenn Zellen das nicht mehr tun, nicht mehr kooperieren, und sich wie beispielsweise Krebszellen schneller vermehren wollen als für den Organismus gut ist, stirbt der Organismus und mit ihm alle Zellen, aus denen er besteht. 

Aus kooperativen Vorgängen entsteht Neues, und zwar nicht nur im Bereich des Lebens, sondern auf allen Ebenen. Wenn zum Beispiel zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom unter bestimmten Bedingungen zusammenwirken und sich verbinden, entsteht ein Wassermolekül mit völlig anderen Eigenschaften als die Bestandteile, die es bilden. Schon vor der Entstehung des Lebens mussten zahlreiche kooperative Prozesse ablaufen, um Leben zu ermöglichen. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass es schon vor der Entstehung des Lebens Formen der Reproduktion und der natürlichen Selektion gegeben haben muss. In Bezug auf das Leben und seiner Evolution selbst, ist heute deutlich geworden, dass die Evolutionstheorie Darwins nur dann unmissverständlich wird, wenn neben Mutation und natürlicher Selektion eben Kooperation als ein drittes Basisprinzip angenommen wird. Dies ist ein wichtiger Fortschritt, der den Missbrauch der Evolutionstheorie für politisch-ideologische Zwecke erschweren wird. Die Übernahme des Konzeptes der natürlichen Selektion in die politische Ideologie, (miss-) verstanden als reiner Überlebenskampf, hat in der Vergangenheit zu Exzessen wie dem Holokaust und anderen Versuchen geführt, die natürliche Selektion durch Elimination von politisch unerwünschten Gruppen zu beschleunigen. Tatsächlich ist Evolution keineswegs in dem Maße durch Kampf bestimmt, wie früher angenommen. Es geht nicht nur um fressen und gefressen werden (das auch), sondern auch um unzählbar viele Formen des Zusammenwirkens und der Zusammenarbeit, von denen heute immer mehr entdeckt werden. Kooperation sorgt für Kreativität und Innovation, baut auf und ermöglicht Komplexität. Dies kann auf der Ebene von Zellen beobachtet werden, auf der von Organismen, und analog dazu auch bei der Evolution der menschlichen Kultur, bei Sprachen oder Sozialsystemen (allerdings läuft kulturelle Evolution ungleich schneller ab als biologische Evolution). Darum wird Kooperation auch als der Meisterarchitekt der Evolution bezeichnet. Wettbewerb dahingegen hilft beim Aussortieren der weniger geeigneten Ansätze und muss an sich nicht als Gegensatz der Kooperation verstanden werden. Eher als ein komplementäres Prinzip. Der eigentliche Gegensatz zu Kooperation ist Konflikt, der nicht rasch genug zu Lösungen führt. In der Regel (aber nicht nur) geht es dabei um Sonderinteressen innerhalb von kooperierenden Gruppen, welche die Kooperation selbst in Gefahr bringen. Das mögen die erwähnten, nicht kooperierenden Krebszellen im Organismus sein, und innerhalb des menschlichen Zusammenlebens die Gefahr des Krieges im Falle von nicht gelösten Konflikten. Können solche gefährlichen Konflikte rechtzeitig entschärft werden, mag deren Effekt sogar nutzbringend für die kooperierende Gruppe sein, da diese davon gelernt hat und an Innovationsfähigkeit gewinnt. Gelingt das nicht, kann ein Zusammenbruch der Kooperation das Ende der Gruppe selbst bedeuten. 

In der Natur, wie auch im menschlichen Zusammenleben ist Kooperation eine prekäre Angelegenheit. Ihre Erfolge sind spektakulär, aber sie kann auch versagen und das kann tragische Konsequenzen haben für die betroffenen Zellen, Organismen oder menschlichen Gesellschaften. 

Die Evolution aller menschlichen Kultur, von Sprache zu Sozialordnungen und technisch-organisatorischen Errungenschaften läuft nicht nur wesentlich schneller ab als die biologische Evolution, ihre Geschwindigkeit nimmt auch ständig zu. Dies liegt daran, dass stets mehr Steuerungsmöglichkeiten für Kooperation entwickelt wurden. Das aus historischer Sicht wichtigste Beispiel hierfür ist Krieg, der zu Unterwerfung und Domination führt. Dieser ermöglichte es, Menschen zu Zusammenarbeit zu zwingen (nicht nur Sklaven) und gab damit mächtigen Anführern die Möglichkeit, ihre persönlichen Vorstellungen für die Weiterentwicklung der Zivilisation zu verwirklichen. Daraus entwickelten sich zahlreiche weitere Abhängigkeitsverhältnisse und Zwänge, die dazu verwendet werden konnten, um die Zivilisation in immer schnellerem Tempo voranzutreiben. Dieser atemberaubend schnelle und heute bereits global verlaufende Entwicklungsprozess insgesamt verläuft immer noch unreguliert und es sind ihm in Hinblick auf seine Einwirkungen auf die Umwelt keine Grenzen gesetzt. Dies bedroht die Ökosysteme, in die das Leben der Menschen und das Leben insgesamt eingebettet ist. Ökosysteme können als komplexe Kooperationssysteme verstanden werden, welche nur bis zu einem bestimmten Grad gestört werden dürfen, bevor das Zusammenwirken dort zusammenbricht. Ein solches Zusammenbrechen des Zusammenwirkens innerhalb eines Ökosystems und der Wegfall seiner Funktionen könnte wiederum verheerende Folgen für die Gesamtheit der Ökosysteme innerhalb der Biosphäre unseres Planeten haben und im schlimmsten Fall unsere schiere Existenz bedrohen. 

Um dieser Entwicklung gegenzusteuern ist es notwendig, nicht nur untereinander besser zu kooperieren (allein schon, um keine zerstörerischen Kriege mehr führen zu müssen), sondern auch mit der Natur und ihren lebenserhaltenden Ökosystemen (den anderen Kooperationssystemen) zu kooperieren. Die Erforschung des Wesens der Kooperation und deren Rolle in Entstehung und Aufrechterhaltung alles Lebens ist buchstäblich mit unserer Existenz verbunden. Denn nur wenn wir das umfassende Wirken von Kooperation auf allen Ebenen ausreichend gut verstehen, können wir hoffen, mit der Natur arbeiten zu können (und nicht gegen sie), unsere Zivilisation anzupassen und Überleben für zukünftige Generationen zu ermöglichen.